Der Wecker klingelt früh an diesem Samstag. Für die an sich noch nicht so fortgeschrittene Skitourensaison sogar sehr früh. Die Wetterverhältnisse erinnern aber ohnehin eher an April als an Februar, und auch der Lawinenlagebericht mahnt zu rechtzeitiger Heimkehr. Nachdem die heute geplante Tour ausgiebig ausfallen soll, scheint der zeitige Aufbruch auch nicht übertrieben.
Der Obmann zeichnet für die heutige Tourenauswahl verantwortlich, was für Genuss-Skitourengeher üblicherweise kein gutes Omen ist. Aber für heute hat er von den Mitstreitern (welche sich aus Toni, Michl und Stephan zusammensetzen) ausdrücklich eine Befreiung vom diesjährigen Skitourenmotto erhalten (welches da lautet “Eine Skitour darf auch mal Spaß machen”).
Am Ausgangspunkt in Pirkach ist es noch stockdunkel, und wir werden schon einige Höhenmeter hinter uns gebracht haben, bis das Licht unserer Stirnlampen durch das schwache Licht der Dämmerung abgelöst wird. Über den Sommerweg, der den Fahrweg zeit- und wegschonend abkürzt, kommen wir gut voran. Nur vereinzelt zwingen uns vom Schnee umgestürzte Bäume zu kleineren Umwegen. Es ist warm und der Schnee ist weich, bis wir vorbei am Hochstadelhaus über die Waldgrenze hinaussteigen. Dort ändern sich die Verhältnisse. Die Sonne konnte der ostseitigen Steilflanke diesen Morgen noch zu wenig Strahlung zukommen lassen und sie verlangte nachdrücklich, die Skier mit Harscheisen nachzurüsten. Noch fast bevor die morgendliche Müdigkeit unsere Knochen verlässt, befinden wir uns schon am letzten Anstieg zum Gipfel des Hochstadel und wir genießen die mystischen Lichtstimmungen eines wolkenverhangenen Morgens. Es ist noch nicht ganz 9 Uhr als wir die ersten gut 2.000 Höhenmeter hinter uns gebracht haben, und wir beschließen, dass wir eine etwas ausgiebigere Rast verdient haben.
Bald diskutieren wir schon über den Weiterweg. Ein direkter Abstieg in die Schneeklammscharte steht im Raum, wir beschließen dann aber doch ein Stück unserer Aufstiegsspur zu folgen, um dann in die südseitige Steilflanke des Hochstadel über eine Rinne einzufahren. Das Gelände ist unübersichtlich, aber wir finden einen schmalen Durchschlupf der uns ins Badstüblkar führt. Im Rückblick sehen wir, dass wir tatsächlich die einzige befahrbare Linie ohne Felsabbruch finden konnten.
Im Badstüblkar wird wieder aufgefellt, wir ersteigen den Faulecksattel und queren auf der Südwestseite des Kammes zum Leitentörl. Es folgt eine weitere kurze Abfahrt in Richtung des Baumgartenkammes, wo abermals aufgefellt wird. Unter Baumgartenwand, Baumgartenkopf und Klammkopf queren wir die steilen Südflanken, welche die schwach durch den Wolkenvorhang scheinende Sonne teilweise schon deutlich aufgeweicht hat. Zwischendurch müssen die Skier auch kurz auf den Rucksack und die Steigeisen an die Schuhe.
Am Baumgartentörl angekommen sind wir doch etwas erstaunt, wieviel Zeit uns der Weg vom Hochstadel bis hierher gekostet hat und sind um jede Wolke froh, welche die kräftige Spätwintersonne davon abhält den südseitigen Schnee allzu rasch aufzuweichen.
Aber nun tauchen wir in die nordseitige Kühle ab. Erstaunlich lustvoll zu befahrender Schnee überrascht uns auf der kurzen Abfahrt in ein beeindruckend schönes und im Winter wohl nur sehr selten besuchtes Hochkar – das Baumgartenkar. Beim Aufziehen der Felle schweift der Blick auf die umliegenden Türme und in die dazwischen eingebetteten Steilrinnen. “Durchaus Potential für einen ausgefüllten Steilrinnentag!” denken wir, müssen aber einsehen dass für heute wohl der direkte Weiterweg die vernünftigere Lösung sein wird. Am Kühleitentörl angekommen dürfen wir uns abermals über erstaunlich erquickende Schneeverhältnisse freuen und gleiten hinunter in das Sandkar und weiter in das Lavanteralmtal. Hier wartet nun der letzte Anstieg des Tages auf uns. Auf etwa 450 Hm bis zum Laserztörl wird noch einmal geprüft, ob unsere Krafteinteilung mit der Länge der Tour auch im Einklang war. Man spricht nun nicht mehr viel, jeder scheint mit sich selbst beschäftigt und sehnt sich den bekannten letzten Spitzkehren zum Törl entgegen. Oben angekommen ist die Erleichterung sogar so groß, dass einzelne Teilnehmer der Tourengruppe noch weitere Scharten-Ziele ins Auge fassen (wohl auch um die wenigen fehlenden Höhenmeter auf die 3.000er-Tour noch zu vervollständigen…). Die andere Hälfte der Tourengruppe boykottiert dieses Vorhaben umgehend mit glimmendem Protestfeuer und so entscheiden wir uns letztendlich doch für eine gemeinsame Abfahrt über abermals lustvoll zu befahrenden Schnee in verschiedensten Konsistenzen Richtung Karlsbaderhütte. Über die ostseitigen Hänge unterhalb den Gamswiesenspitzen und den großen Graben erreichen wir bald das seit Stunden ersehnte Zwischenziel bei der Alpenrautehütte. Gestärkt durch hochwertiges Isotonisches aus dem Keller als Ausgleich für den Flüssigkeitsverlust der vergangenen Stunden nehmen wir noch das letzte Stück der Abfahrt über den Kreithof bis nach Tristach in Angriff.
Eine großartige Durchquerung der östlichen Lienzer Dolomiten liegt hinter uns, ein Erlebnis der Extraklasse, genauso wie 5 Aufstiege mit 2.850 Hm und ebensoviele Abfahrten mit beinahe ebensovielen Tiefenmetern, ein Gipfel, 3 Törln, mehrere Sättel und Scharten, wildromantisch-einsame Hochkare und erstaunlich freudvolle Abfahrten in unterschiedlichsten Schneearten. Diesmal hätte der Obmann die Befreiung vom Saison-Tourenmotto tatsächlich gar nicht benötigt. Wir sind uns aber ziemlich sicher, dass er diesen Bonus demnächst wohl wieder umfassend einlösen wird.
St.Se.